WERK X im Wohnzimmer: Das Rote Wien, das steht ja für etwas!

Aus einem Gespräch zwischen Rudi Palla & Helmut Köpping anlässlich der Premiere von „Die Arbeitersaga“

© Fottoo-Stock.Adobe.com
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Das Gespräch fand im November 2019 im WERK X statt. Die Fragen stellten Kathrin Bieligk, Susanne Graf und Helmut Köpping.

Also, wie ist das Ganze entstanden: Der Peter Turrini hat mich eingeladen zu dieser Arbeit, das war im Frühjahr ‘83, da haben wir das erste Mal über ein mögliches Konzept gesprochen. Drei Teile waren das anfangs, das hat uns interessiert: Wie schlägt man den Bogen, wie entwickeln sich diese drei Teile? Und dann haben wir chronologisch begonnen, Teil 1 sollte im April 1945 spielen, Teil 2 im Sommer 1961 und Teil 3 in den 80er-Jahren – die Verfilmung war dann ja nicht chronologisch – aber das ist eine andere Geschichte.

Wie sah die Zusammenarbeit zwischen euch aus, wenn ihr geschrieben habt? Habt ihr alles gemeinsam gemacht?

Ja, das war ziemlich gut zwischen uns beiden. Wir haben uns ja schon gekannt, wir haben dann sogar nebeneinander gewohnt, in der Neudeggergasse. Und da ist man nur von einer Wohnung zur anderen, und umgekehrt. Und da sind wir uns halt vis-à-vis gesessen und haben uns Szene für Szene vorgearbeitet und haben uns gefragt: „Was könnte jetzt kommen?“ Dann haben wir Dialoge ausprobiert und uns vorgesprochen. Ja, das war wirklich eine Gemeinschaftsarbeit.

Und der Bogen dieser drei Teile beschreibt die Geschichte der Zweiten Republik? Oder ist es dann doch spezieller die Geschichte der Sozialdemokratie in der Zweiten Republik? Was war eure ‚Überschrift‘?

Es beginnt ja mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, praktisch der Neuanfang, denn die Sozialdemokratie war ja vom  austro-faschistischen Regime verboten worden. Es hat sich dann im Untergrund eine Gruppe gebildet, die sich Revolutionäre Sozialisten genannt hat, die waren unser Ausgangspunkt. „Lassen wir doch den Neubeginn mit der Geburt eines Genossen starten“, das war unsere Idee. Und im zweiten Teil sollte dann diese damals sehr starke Jugendbewegung, sowohl der Gewerkschaften als auch der Roten Falken, im Zentrum stehen. Das wurde damals sehr gepflegt, diese Gruppenarbeit. Und das war für viele, auch für mich zum Beispiel, eine gewisse Bekanntschaft mit der Sozialdemokratie. Ich kannte mich, im Gegensatz zum Peter, ein bissl aus in der Materie. Der ist ja im katholischen Kärnten völlig anders aufgewachsen. Meine Eltern waren eingefleischte Sozialdemokraten, die haben mich in die Sommerlager der Roten Falken geschickt. Mein Vater war Schriftsetzer, wie der Karl Blaha, und ist schon früh aus der Kirche ausgetreten.

Eure ganz eigene Verbindung von Fiktion und Historie – das fand ich sehr, sehr spannend. Habt ihr eigentlich auch mit Historikern gesprochen?

Die Geschichte der Hilde Krones von den Revolutionären Sozialisten zum Beispiel, die hat uns sehr inspiriert. Die nennt ihr ja auch im Drehbuch. Ich hatte ja sogar noch zwei Drehbücher geschrieben, die nicht mehr verfilmt wurden – die hätten die Vorvorgeschichte erzählt, mit der Gründung der Revolutionären Sozialisten im 34erJahr. Ja, ich würde sagen, die Abläufe stimmen im Großen und Ganzen schon historisch. Wir haben als Berater den Michael Mitterauer gehabt, der das Institut für Sozialgeschichte an der Uni Wien geleitet hat. Und den Wolfgang Maderthaner, der damals der Leiter des Vereins für die Geschichte der Arbeiterbewegung war. Deren Archiv war im alten Vorwärts-Haus. Der war eine große Hilfe. Und im Stadtarchiv gibt es Zeitzeugenberichte der Wiener Bevölkerung aus den ersten Tagen der Befreiung, da habe ich auch viel recherchiert – ein irres Archiv, alles in Ringordnern damals. Und der Viktor Matejka, der lebte damals ja noch, der hat uns viel aus seiner eigenen Zeitgenossenschaft heraus erzählt. Aber die Idee, das alles mit einem Plakat zu verbinden, kam eigentlich von meinem Vater. Mein Vater und sein Schwager waren nach der Befreiung in Ottakring diejenigen, die die Radetzky Kaserne mehr oder weniger befreit und das ganze Material, Decken, Betten, Matratzen, an die Ausgebombten in Ottakring verteilt haben. Mein Onkel war dann später auch viele Jahre Nationalratsabgeordneter. Und mein Vater wurde, da waren die Russen schon in Wien, gebeten oder aufgefordert oder hat sich angeboten, dieses erste Plakat zu drucken als Schriftsetzer. Er hatte damals noch sehr gute Verbindungen zu seiner früheren Druckerei im 17. Bezirk. Das hat alles tatsächlich stattgefunden.

Das wusste ich gar nicht, dass das doch so eine biographische Anbindung hat. Mein erster Gedanke war ja, dass es am 1. Mai 1945 noch gar keine Maiveranstaltung geben konnte. Zu dem Zeitpunkt herrschte ja noch Krieg in vielen Teilen Österreichs.

Doch, die hat es gegeben. Das war die erste große Manifestation der wiedererstandenen Sozialdemokratie.

Und wie kam es zu dem Titel „Arbeitersaga“?

Nach der „Alpensaga“ war Peters Idee „Mach ma doch eine Geschichte aus dem städtischen Raum!“ Und dass es etwas Politisches sein sollte oder etwas, das in die Nähe des Politischen kommt, das war auch klar. Und was bietet sich an? Die Sozialdemokratie, die stand uns näher. Und das Rote Wien steht ja auch für etwas! Aber das Ganze „Arbeitersaga“ zu nennen, das eckte an im Haus. Also nannte man das Projekt erstmal „Auf eigenen Beinen“. Auf eigenen Beinen, ja, das ist doch wunderbar. Das sagt nämlich überhaupt nichts. Unter diesem Namen sind aber die Verträge gelaufen, und alles andere, und erst kurz vor der Verfilmung wurde es zur „Arbeitersaga“. Bei Teil Nummer 2 hat uns übrigens dann die Gewerkschaft mit einer Klage gedroht. Und die Rechtsabteilung im Sender hat immer wieder Dialogstellen beanstandet - die wären zu obszön. Das Wort „Zumpferl“ zum Beispiel, das hat einen Riesenskandal ausgelöst. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen! Aber die Redaktion hat immer zu uns gehalten. Die haben das gut abgeblockt und argumentiert. Wir haben argumentiert und die haben sozusagen noch zusätzlich argumentiert. Und Wolf In der Maur, der damalige Fern sehintendant, war ja der eigentliche Initiator gewesen.

Schön ist ja auch, dass es in jeder Folge eine kleine Liebesgeschichte mit dem Kino gibt. Im Teil 1 die Aufführung vom „Wiener Blut“ und im Teil 2 die Schwärmerei für Brigitte Bardot.

Ja, klar! Ich bin damals mit einem Freund mit dem Motorrad nach SaintTropez gefahren. Wegen der Brigitte Bardot. Also das war schon etwas. In Saint-Tropez ist uns das Geld ausgegangen. Und in Ventimiglia beim Zurückfahren haben wir einen Sturz gehabt, beim Regen, kurz nach der Grenze. Ich sehe das noch, wie wir da im Dreck liegen. Kein Geld. Sturz. Keine Brigitte Bardot. (Lacht.)

Genossen im Räderwerk

 

Ich muss ja gestehen, ich hab alle Aufzeichnungen, alle Recherchen zur „Arbeitersaga“ weggeschmissen, schon vor einiger Zeit. Weil ich mir gedacht hab, „na gut, was soll ich das jetzt noch Jahre lang herumschleppen, wen interessiert das jetzt noch“.

Für die Produktionsteams, die sich hier im Werk X jeweils auf ihre eigene Weise den Teilen der Arbeitersaga annähern und eine theatrale Umsetzung versuchen, war es spannend, sich mit ganz unterschiedlichen Materialien von Vorlagen auseinandersetzen zu können: Einerseits den Verfilmungen, andererseits  den Drehbüchern, die durch dich und Peter Turrini als Autoren ja eine echte literarische Qualität haben.

Ja, wir haben die damals im Europaverlag auch in Buchform veröffentlicht und uns dafür entschieden, die Ursprungsversionen zu drucken, ohne die Veränderungen zu berücksichtigen, die ein Drehprozess so mit sich bringt.

Und die sind in einer hohen Auflage erschienen und wurden offensichtlich viel gelesen – aber der Skandal um das sogenannte Rinterzelt, dessen Ursprungskonzept als Müllweiterverwertungsanlage total scheiterte, war damals ein heißes Thema. Absurd, dass das Gebäude ausgerechnet vor ein paar Monaten, kurz vor unserem Probenbeginn, gesprengt wurde. Wusstet ihr schon, als ihr die Anlage der Serie konzipiert habt, dass der dritte Teil davon handeln sollte?

Ja, das war uns klar, das hatten wir so geplant. Müllomania war ja eigentlich sogar als Abschluss der Serie geplant. Und wir sind dann praktisch in die Auf deckung und Aufarbeitungsphase des Skandals hineingeraten. Und der war sowas von unglaublich – das hätte man ja kaum erfinden können! Wir haben damals durch reinen Zufall einen deutschen Techniker kennengelernt, der von der Gemeinde nachträglich eingesetzt wurde, um das aufzuklären, technisch aufzuklären. Der Investor, der der Gemeinde das Projekt untergejubelt hat, hatte doch tatsächlich versprochen, aus Müll Baufaserplatten herzustellen, die dann in die Schweiz verkauft werden sollten. Und man hat wahnsinnig viel Geld da hineingesteckt, in dieses Zelt, und in die Maschinen und alles. Dabei konnte es gar nicht funktionieren. Der Mann, den wir kennengelernt haben, der hat das minutiös ausgerechnet, die Menge an Spanplatten, die da hätte erzeugt werden sollen. Das wäre aber mit Metall und anderen Verunreinigungen versetzt gewesen, das Holz. Also unmöglich, man hätte das nicht sägen können. Na gut, und irgendwann ist das Ganze aufgeflogen. Und es wurde natürlich versucht, das zu vertuschen. Und dann hat man kurzer Hand halt eine Müllsortierung da drinnen gemacht. Statt maschineller Müllweiterverwertung Menschen, die am Förderband gestanden und aussortiert haben. Wirklich eine absurde Geschichte. Das war natürlich eine wunderbare Vorlage für unseren Plan, zu zeigen, wie der 1945, im ersten Teil geborene Genosse in das Räderwerk der Alltagspolitik gerät und seine Ideale verrät. An der Macht klebenbleiben, ohne inhaltlich noch für etwas zu stehen.

Und parallel zum Schreibprozess und zu den Dreharbeiten wurde der Skandal in den Medien weiter ‚aufrecherchiert‘?

Deshalb gab es auch die Auflage von der Rechtsabteilung, dass keine lebenden Personen vorkommen in der Müllomania. Also nicht namentlich. Aber in den verschiedenen Kammerln beim ORF ist doch Verschiedenes durchgedrungen, obwohl das Projekt da noch „Auf eigenen Beinen“ hieß. Und das war dann ein ewiger Kampf – in den Köpfen verschiedener Menschen war ja Vieles viel, viel ärger, als wir das geschrieben haben. Das hat sich sehr schnell verselbstständigt, diese Geschichte. „Wir demolieren jetzt die Sozialdemokratie!“ – solche Vorwürfe schwebten in der Luft.

Das ist ja wie beim „Heldenplatz“, wo vorher auch keiner den Text gelesen hatte, aber alle sich reingesteigert haben. Wurde versucht, auf euch Einfluss zu nehmen, habt ihr Druck gespürt?

Die Redaktion und die Fernsehspielleitung, die haben immer zu uns gehalten und den Druck abgeblockt und uns arbeiten lassen.

Zurück zu eurem Grundimpetus, euch des ganzen Stoffs anzunehmen, war das auch aus dem Gefühl heraus, „Da läuft was falsch, oder da ist was falsch gelaufen in der Sozialdemokratie. Und wir schauen, wo das herkommt und wo da die Weichenstellungen waren“? Während der Proben haben wir viel im Ausstellungskatalog aus dem Jahr ‘88 über 100 Jahre Sozialdemokratie in Österreich recherchiert, und für die Ausstellung wurden damals einige Menschen aus dem Parteiumfeld gefragt, „Was ist denn eure Utopie von der Sozialdemokratie in dreißig Jahren?“ Was ungefähr jetzt wäre. Da gibt es einige kluge Analysen nachzulesen über die möglichen Herausforderungen der Zukunft – aber auch Wunschvorstellungen wie „Dann haben wir wieder die absolute Mehrheit“. Die heutige Krise haben die sich damals gar nicht vorstellen können.

Das konnte man sich auch schwer vorstellen. Ich weiß nur eines, dass seit vielen Jahren etwas falsch ist in ihrer Politik. Ja und diejenigen, die etwas ändern wollen, die werden hinausgeekelt. Ich kann gar nicht aufzählen, wie viele gute Leute mehr oder weniger von selbst gegangen sind oder hinausgeekelt wurden. Dass man das nicht erkannt hat, dass man diesen Wählerumbruch auch nicht erkannt hat. Also die Intellektuellen, die Künstler, die früher irgendwie immer zur Sozialdemokratie gehalten haben, die sind zu den Grünen gegangen. Und die Hackler sind zur FPÖ gegangen. Wahnsinn! Ich mein, das kann ja sein, dass es die in ein paar Jahren nicht mehr gibt. Wer soll das retten? Ich weiß es nicht.