Laudatio – Der längste Zeigefinger

JULIUS DEUTSCHBAUER – SUCHE DIE UNPOLITISCHSTE THEATERPRODUKTION WIENS 2017/2018

III. DER LÄNGSTE ZEIGEFINGER

Der taz-Artikel von Astrid Kaminski, „Empathie als politischer Gestus“, zur Neueröffnung des Tanzquartiers Wien

Laudatio von Julius Deutschbauer

Ich werde in der Folge einige Betrachtungen zu den ersten drei Absätzen von Astrid Kaminskis Artikel „Empathie als politischer Gestus“ – Untertitel: „Kein leichter Anspruch, wenn Tanz politisiert wird: die Neueröffnung des Tanzquartiers Wien, einer der wichtigsten Spielstätten für den zeitgenössischen Tanz“ anstellen.

Kaminski: Gut, Wiener heißen in Wien Frankfurter. Aber das macht es nicht besser.

Was ist mit „es“ gemeint? Inwiefern „besser“? Zumindest korrespondiert „besser“ sehr elegant mit „best“ im nächsten Satz.

Kaminski: Zur Neueröffnung des Tanzquartiers Wien (TQW), eine der weltweit bestausgestatteten

Im Unterschied zu „am besten“

Institutionen für zeitgenössischen Tanz, gibt es rosa Würstel. Dazu serviert der Performance-Künstler Julius Deutschbauer, auf einem Schaffell stehend und bei winterlichen Temperaturen

hierzulande: trotz winterlicher Temperaturen

nur obenrum bekleidet, frisch geriebenen Kren, Meerrettich. Titel der Aktion: „Ab jetzt reibt sich das TQW seinen Kren wieder selbst“. Irgendwie

Das Adverb irgendwie erweist sich hier als Auskunftswort, als eine vorauseilende Relativierung der nachfolgenden Behauptung.

scheint das auf Marcel Duchamps „Junggesellenmaschine“ und den Satz […] „Der Junggeselle reibt sich seine Schokolade selbst“ zurückzugehen.

Absatz: Ende der 1. Maxime.

Kaminski: Für Bettina Kogler, die neue Direktorin des Tanzquartiers, die zuvor die Abteilung performing arts im Wiener WUK leitete und das Areal im Museumsquartier bestens

besser, best, bestens

kennt, wird mit der Krenreibe auf den künftigen Arbeitsbegriff des Tanzquartiers angespielt: Wir werden es uns nicht

An dieser Stelle haben wir eine Definition von Erfindung in der Negation, vorausgesetzt: sie ist die Hervorbringung der Idee selbst.

leicht machen. Das ist nach der Vorgängerintendanz von Walter Heun, der sich in den Augen einiger, bei aller Managerprofessionalität, nicht genügend an Visionen gerieben hat, sicher ein schmackhaftes Motto. Nur: Was als urig-kulinarische Aktion

Was für besser/best/bestens gilt, gilt auch für den Begriff Aktion. An dieser Stelle ist die Aktionsverdoppelung bis ins Detail so durchgeführt, dass die ursprünglich logisch-empathische Struktur von Kaminskis Kritik zugunsten der Genauigkeit einer Vorlage der physischen Aktion nicht verlorengeht.
Ganz richtig heißt es, Wiederholung sei die Mutter eines guten Gedächtnisses. Kaminski weiß stets, welche Gedanken eine Wiederholung verlangen und wann es am besten ist, sie zu setzen. Sie bedient sich dabei sowohl der fortschreitenden als auch der abschließenden Wiedergabe der Hauptpunkte. Auf diese Weise zieht sie den Faden ihrer Kritik von Maxime zu Maxime fester. Das trägt mit dazu bei, die Gedanken im Sinn ihrer Leserschaft tiefer zu verankern.
Durch Nachdruck durch Wiederholung gibt Kaminski ihren Argumenten noch mehr Sinn. Dadurch fällt es dem Leser/der Leserin zu keinem Zeitpunkt schwer, den Kerngedanken zu verstehen. Andererseits wiederholt sie die oder den Hauptgedanken nicht zu oft, damit die Aufmerksamkeit ihrer Leserschaft nicht nachlässt.
Auch wenn man alle im Text erwähnten Nennungen von Aktion durchnummerieren würde, könnte man trotzdem nicht zu dem Schluss kommen, dass von Kaminskis Argumentationskette zur offensichtlich vorausgesetzten Wirklichkeit nur eine Beziehung von einer Nennung zur nächsten besteht.

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Durch den in dieser Aufzählung naturgemäß gesetzten Beistrich – kommt in dieser Konstellation nur noch einmal vor – wird die Präposition als zum Kopfwort. „ ALS, kürzung von alles.“ (Jacob  und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 1, München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1991, S. 246)

als kunstaffine Variante von „Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne“

Durch den Gebrauch von Sprichwörtern wie diesem prägt Astrid Kaminski ihren Lesern sehr bedeutungsvolle, drastische, Bilder ein. Gleichzeitig erklärt sie ihre Anwendung. Sie verwendet kleine Dinge, um große Gefühle, Einfaches, um Schweres zu erklären. So erzeugt sie Übereinstimmungen durch Gegensätze und überzeugt, indem sie offenbar persönliche Erlebnisse in Sprichwörter packt.

gedacht war, gerät bei der aktuellen politischen Lage leicht in Traditionalistenschieflage.

Weiter unten wird sie in Bezug auf Gehmachers & Fomentis „Popsong-Liederabend“ die mahnende Frage aufwerfen: „Folk in FPÖ-Zeiten?“
Hier wird das Rufzeichen zum Fragezeichen und das völlig zu Recht: „Ausrufungszeichen sind rot“, schreibt Theodor W. Adorno in Noten zu Literatur. „Ausrufungszeichen sind unerträglich geworden als Gebärde der Autorität… hilflose Beschwörung… verzweifelte Schriftgebärde, die vergebens über die Sprache hinaus möchte.“

Weiter im Text: Die Kunst ist in Österreich zwar (noch) frei, wie stark sie aber aktuell von der Politik korrumpiert und verzerrt wird, das wird bei der viertägigen feierlichen Eröffnung des TQW so sichtbar wie fühlbar.

Absatz: Ende der 2. Maxime.

So

Das Adverb so erweist sich hier als Leitwort der Begründung. Es kennzeichnet als Korrelat zu nachfolgendem Vergleichspartikel wie eine Entsprechung im Sinne von ebenso oder genauso.

muss auch das eigentlich vor dem Krenreiben geplante Eröffnungsgrußwort von Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) auf den späteren Abend verschoben werden. Grund: Dem Kulturpolitiker ist seine flammende Rede im Wiener Gemeinderat gegen Burschenschaften und deren Zusammenhänge mit der FPÖ zur ausufernden Debatte geraten. Der zweite Tag des Veranstaltungsreigens im TQW konfrontiert mit dieser Realität dann unmittelbar

Selbstbewusst schließt der Partikel un sich an das Adjektiv mittelbar, erlangt dadurch die Macht, das Adjektiv mittelbar in sein Gegenteil zu verkehren.

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Punkt

Mehrere Tausend Demonstranten ziehen am Museumsquartier, begleitet vom bislang größten Polizeiaufgebot überhaupt, vorbei zum von der FPÖ organisierten „Akademikerball“ in der Wiener Hofburg. Das österreichische Boulevardblatt Der Kurier

Den Ausdruck Boulevardblatt auf den Kurier anzuwenden, entspricht ganz der Diktion der Kronenzeitung gegenüber seinem Konkurrenzblatt. Dass Kaminski in der taz sich dieser Ausdrucksweise bedient,  lässt auf einen tiefen Argwohn der Autorin gegenüber der österreichischen Presse schließen.

titelt danach: „8000 tanzten gegen den Ball an“. Dem künstlerischen Programm im Museumsquartier zu folgen

Hier verzichtet Kaminski kühn auf den Beistrich, den sogenannten Halbschluss, den sie ansonsten äußerst sorgsam setzt.
Das ermöglicht ihr jedoch einen freieren Umgang mit Pausen, erlaubt ihr, diese nicht  automatisch beim Satzzeichen erfolgen lassen zu müssen. Umso unkonventioneller sie Pausen bzw. Satzzeichen setzt, umso mehr macht es den Eindruck, dass Kaminski überzeugt ist, dass das, was sie zu sagen hat, wichtig ist und man sich daran erinnern sollte. Aufgrund dieser Fertigkeit, Satzzeichen geschickt zu setzen oder wegzulassen, wäre kein Leser/keine Leserin je geneigt, sie in ihrem Vortrag zu unterbrechen.

wird unter diesen Bedingungen fast zum Akt der Selbstvergessenheit

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„Komma und Punkt entsprechen dem Halb- und Ganzschluß. Ausrufungszeichen sind wie lautlose Beckenschläge.“ (Theodor W. Adorno, Satzzeichen, in: Noten zur Literatur, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1981, S. 106f.)

Absatz: Ende der 3. Maxime, der Astrid Kaminski noch 7 folgen lässt.