Laudatio – Helden und Heldinnen der Provinz

JULIUS DEUTSCHBAUER – SUCHE DIE UNPOLITISCHSTE THEATERPRODUKTION WIENS 2017/2018

V. HELDEN UND HELDINNEN DER PROVINZ

Stefanie Carp und die Debatte um den BDS, Ruhrtriennale 2018

Laudatio von Harald Posch

Stefanie Carp, gelernte Literaturwissenschaftlerin, Dramaturgin und derzeit Intendantin der Ruhrtriennale, wurde uns in den letzten Jahrzehnten bekannt durch herausragende Arbeiten als Chefdramaturgin etwa am Düsseldorfer Schauspielhaus, in Basel, der Volksbühne Frank Castorfs in Berlin und als Schauspieldirektorin der Wiener Festwochen. Das Dramaturgenteam Wilfried Schulz, Tilman Raabke und Stefanie Carp wurde im Jahr 2000 für ihre Arbeit am Deutschen Schauspielhaus Hamburg in der Kritikerumfrage von Theater heute gar zur Dramaturgie des Jahrzehnts gewählt.

Eine vor inhaltlicher Kompetenz strotzende, gesellschaftspolitisch hoch sensibilisierte Theaterpersönlichkeit möchte man also meinen, was sie auch oft unter Beweis gestellt hat.

Und dennoch kam jetzt alles ganz anders:

Als Stefanie Carp das Programm Ihres ersten Jahres als Ruhrtriennale-Intendantin für 2018 präsentierte, kam es zum Aufruhr.

Carp hatte nämlich die britische Hip-Hop Formation Young Fathers auf dem Gäste-Zettel stehen und dabei nicht bedacht, das diese Band der Organisation BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) nahe steht, die sich für den vollständigen Boykott des Staates Israel einsetzt und auch von der Hamas in ihren Zielen unterstützt wird.

Nun ist die Ruhrtriennale kein kleiner, privatwirtschaftlich finanzierter Klub, sondern ein staatlich gefördertes Repräsentationsfestival, das für sich überdies eine besondere Sensibilität bei der politischen Reflexion ästhetischer Phänomene in Anspruch nimmt. Wie passt dies mit der Einladung einer Gruppe zusammen, die eine Kampagne unterstützt, die das Existenzrecht Israels prinzipiell leugnet und die – auch wenn nicht alle ihre Unterstützerinnen und Unterstützer deswegen notwendig Antisemiten sind – jedenfalls mit antisemitischen Gruppen kooperiert?

Das kann man fragen, und darauf könnte man von der Intendantin des Festivals eine Antwort verlangen – von Stefanie Carp kam dazu aber erstmal keine Stellungnahme. Sie forderte die Gruppe zunächst lediglich auf, sich von BDS zu distanzieren, und als diese sich – was zu erwarten war – weigerte, sagte sie den Auftritt kurzerhand ab.

Den Young Fathers gab dies jedenfalls gute Gelegenheit, sich in einer Kampagne als Opfer von Meinungszensur zu inszenieren. Fast alle eingeladenen Musikerinnen und Musiker wurden persönlich angeschrieben und unter anderem mit der Desinformation, der Staat Israel habe auf das Pop-Kultur-Programm Einfluss genommen, unter Druck gesetzt. Alle arabischen Künstler sagten ihre Teilnahme daraufhin ab.

Dass sich die Kritik am Verhalten der Young Fathers in Wahrheit gar nicht an einer politischen Meinung entzündet hatte, sondern an der Unterstützung einer Kampagne, die mit Menschen anderer Meinung nicht diskutiert, sondern diese bekämpft – dieses Detail wurde generell unterschlagen.

Es kam, wie es kommen musste: Die Spirale aus Boykott und Gegenboykott drehte sich weiter; der prominente BDS-Unterstützer Roger Waters etwa rief zum Boykott der Ruhrtriennale auf.

Und was tat die Intendantin des Festivals, Stefanie Carp? Sie verteidigte nicht etwa ihre Entscheidung oder bekundete gar ihre Solidarität mit dem israelischen Volk oder mit den Jüdinnen und Juden, die sich auch in Deutschland wachsendem Antisemitismus ausgesetzt sehen. Nein! Sie beugte sich dem BDS-Druck und nahm ihre Entscheidung zurück. Via Pressemitteilung gab sie bekannt, dass sie es sich anders überlegt habe und die Young Fathers nun doch wieder zu ihrem Festival einlade.

Das ist nun allerdings ein verheerender Vorgang, auch wenn der Auftritt tags darauf schließlich doch wieder abgesagt wurde. Nicht, weil die Ruhrtriennale sich zunächst dazu entschieden hat, die Young Fathers spielen zu lassen; man kann mit guten Gründen dafür plädieren, die von BDS in Gang gesetzte toxische Spirale aus Boykott und Gegenboykott zu durchbrechen. Verheerend ist, dass Stefanie Carp die Rhetorik der BDS-Akteure übernimmt, die sich ja bei jeder Kritik ihrer Aktionsformen auf die passive Rolle des Antisemitismus-Keulen-Opfers zurückziehen.

Diese Doppelstrategie aus Aggression und Viktimisierung kennen wir aus der Politik der Rechtspopulisten mittlerweile zur Genüge – es sollte doch auch der und die Letzte jetzt mal verstanden haben, wie das funktioniert und warum man sich darauf nicht einlassen darf. Nicht so die Intendantin der Ruhrtriennale. Wenn man ihre Erklärung zur neuerlichen Einladung liest, versteht man, warum sich viele Jüdinnen und Juden in Deutschland gerade wieder sehr allein gelassen fühlen. Die jüdischen Landesverbände beschwerten sich nun über Stefanie Carps „grundlegende Unwissenheit um den Begriff des Antisemitismus und Fakten des Nahostkonflikts“.

Bei einer Diskussionsrunde zu dem gesamten Themenkomplex, die Ende August in der Turbinenhalle in Bochum abgehalten wurde und Stefanie Carp die Gelegenheit geben sollte, sich noch klar zu Ihrer Ein- und Ausladungspolitik zu verhalten, blieb der Intendantin nur noch, ihre Fehler einzuräumen und sich damit nochmal ungeschickt zu verteidigen:

ZITAT: Also, als ich die schottische Band, die „Young Fathers“, eingeladen habe, muss ich ehrlich zugeben, habe ich das Wort BDS noch nie gehört gehabt. – Stefanie Carp

Für diese Ehrlichkeit bis zur Schmerzgrenze erhält Stefanie Carp heuer zu Recht den Preis für Helden und Heldinnen der Provinz.