Laudatio – Der längste Zeigefinger

JULIUS DEUTSCHBAUER – SUCHE DIE UNPOLITISCHSTE THEATERPRODUKTION WIENS 2016/2017

IV. DER LÄNGSTE ZEIGEFINGER

Die Abteilung Marketing, Medien und Vertrieb des Theaters in der Josefstadt für das Spielzeitheft der Saison 2017/18 sowie ihre elitären Instagram-Stories

Laudatio von Harald Posch

Das Theater in der Josefstadt blickt nach vorne, das Theater in der Josefstadt erkennt die Zeichen der Zeit, das Theater in der Josefstadt wird politisch. Was zuerst wie eine gefährliche Drohung klingt, wurde bei den Gralshütern des bürgerlichen Erbauungstheaters nun, unter Aufwand aller Kräfte der dort gemeinhin Programmhefte gestaltenden Dramaturgie und Marketing- /Presseabteilung, in noch nie dagewesener Verbissenheit in die Tat umgesetzt.

Nicht ein einzelnes Bühnenprojekt, nicht ein verschämter Text auf der Homepage, nein, ein dickes, buntes Programmbuch voll politisch Brisantem, den neuen Weltenlauf sezierendem, also ein die Macht und ihre Klüngel ohrfeigendes Werk sollte es sein.

Alle klugen Köpfe wurden zusammengesteckt, Tages- wie soziale Medien durchforstet, keine Abendnachrichten ausgelassen. Nichts sollte unversucht bleiben, man begab sich schließlich auf neues Terrain. Und siehe da! Nach Vorlage etlicher, vielschichtiger, kritischer und kontroversieller Konzepte, gewann jenes – eines Praktikanten.

Wie sonst ist das in Manier – und auf dem Niveau – des Dichandschen U-Bahnaltpapiers gehaltenes Jahresspielzeitheft zu erklären, das vorgibt dies zu parodieren, es aber an Bizzarheit bei weitem übertrifft?

Auf üppigen Doppelseiten zeigt das Büchlein umstrittene Machthaber, Potentaten, Oligarchen und Autokraten von der Westküste bis an den Bosporus, in Fotomontagen auf Schülerzeitungsniveau in und vor den Räumlichkeiten des Theaters, versehen mit holprigen Kalendersprüchen und – auch das Theater in der Josefstadt ist im digitalen Zeitalter angekommen – mit HASHTAG. Es „postet“ also quasi ins Lächerliche übersteigerte, reaktionäre Dystopien bekannt autoritärer Politikerinnen und zeigt dafür die eigenen DarstellerInnen sogar mit Jutesäcken über dem Kopf samt etwa dem Hashtag #Skandalös: Irans Präsident fordert Ganzkörperverhüllung für Schauspielerinnen. Der türkische Präsident Erdogan dagegen wurde vor die Theaterkasse montiert mit dem HASHTAG „Ungeheuerlich: Erdogan schließt sogar die Pressestelle der Josefstadt“, Putin und Trump werden – im Josefstädtischen Verständnis von Homosexualität – als Darsteller in „Käfig voller Narren“- Attitüde verulkt usw. usf.

All das wäre in seiner Plattheit und kindlichen Weltsicht völlig irrelevant und brächte, wie geschehen, nur die noch naivere Wiener Stadt-FPÖ auf den Plan, träte durch diesen Ausbund an Ignoranz nicht ein tief sitzender Zynismus gegenüber jenen zu Tage, die hier Opfer der Parodierten sind, mit welchen man sich am Ende aber eher schmückt als sie zu kritisieren.

Gegensätzlich dazu mutet der restliche Auftritt des Theaters in der Josefstadt an – auf web 2.0, insbesondere auf Instagram, wird nämlich ausschließlich in wertfreier Champagnerlaune von großartigen Schauspielern, Produktionen und Premieren in ausgesuchter Abendrobe berichtet.. Sollte es also ein Heft um des Hefts willen geworden sein?

Oder hat sich die Marketing/Medien-Abteilung bzw. gar die künstlerische Leitung der Josefstadt jemals ernsthaft auf der Bühne damit auseinandergesetzt, was es heißt als politisch Gefangener, monatelang in türkischen Gefängnissen zu darben, in Russland homosexuell zu sein oder als Frau im Iran im Kampf um eigene Rechte sein Leben zu riskieren? Und wer oder was dafür verantwortlich ist, dass in Österreich „rechts“ und bürgerlich mittlerweile gleichbedeutend sind?

Wohl kaum, anders wäre diese Gutenachtlektüre im Stil eines Wolfgang Fellner auf Glückskeks kaum zu erklären.

Daher geht der diesjährige Preis für den längsten Zeigefinger völlig zurecht an die Abteilung Marketing,Medien und Vertrieb des Theaters in der Josefstadt.