Laudatio – Die dickste Staubschicht
JULIUS DEUTSCHBAUER – SUCHE DIE UNPOLITISCHSTE THEATERPRODUKTION WIENS 2017/2018
II. DIE DICKSTE STAUBSCHICHT
Die Musicaldialoge in „Lazarus“ von David Bowie und Enda Walsh am Volkstheater Wien, Inszenierung: Miloš Lolić
Laudatio von Cornelia Anhaus, vorgetragen von Barbis Ruder
Zuallererst muss dem Volkstheater gedankt werden für das Aufgreifen dieses in Wien völlig unterrepräsentierten Genres: dem Musical. In Zeiten, in denen sich die darstellende Kunst viel zu oft aus Profitgründen dem Diktat von Diskurstheater, postmigrantischen Strömungen und queerem Gender Mainstreaming unterwirft, kann man diese volksnahe Herangehensweise von „Sound and Vision“ nicht genügend hervorheben und loben.
Als zweites sei an dieser Stelle David Bowie und Enda Walsh gedankt, die noch vor #MeToo und Nina Proll sich um wahre Vielschichtigkeit von Frauenrollen auf der Bühne verdient gemacht haben, in dem sie die Figuren der weiblichen Darstellerinnen so divers und hintergründig angelegt haben:
Teenage Girl 1, Teenage Girl 2, Teenage Girl 3, Mädchen, Japanerin / Maemi (immerhin nicht „China Girl“) und Elly, die sich gegen jedes Klischee in den männlichen Hauptdarsteller, einen abgehalfterten Alkoholiker und Exzentriker verliebt, als dessen Assistentin sie arbeitet. Zu Recht muss sie sich daher von ihrem Mann Sätze wie „Und, treibst du es mit ihm?“ anhören; das Publikum allerdings auch.
Nicht zu vergessen auch die Verflossene unseres Helden, die zwar zum hohlen musikalischen Zitat ihrer selbst wird: „Mary Lou“, aber andererseits auch zu Lebensweisheit inspiriert, einfach zum nachdenken: „Sie sitzen hier fest, weil Mary Lou Ihnen das Herz gebrochen hat – so viel weiß ich. Sie sollten sie vergessen, dann können sie etwas anderes machen.“ (Mädchen)
Was Sie sonst noch wissen sollten über die nicht vorhandene Handlung neben den Hits von „Saint David“?
Irgendwann taucht eine vermeintlich schwule Vergangenheit auf, irgendwer ist nicht von dieser Welt, irgendwo wird ein Mord – oder ist es versuchter Totschlag? – begangen, irgendwie will das Girl ein Phallussymbol bauen, und irgendein Bowie-Zitat wird’s schon richten. In diesem Fall wäre angebracht: „Watching some good friends screaming ‚Let me out!‘“
Aus Gründen, die wahrscheinlich nur „Literatur im Nebel“ rechtfertigen kann – es ist anzunehmen, dass Rudolf Scholten 2016 bei der Uraufführung Vorsitzender der „Freunde des Lazarus“ war – muss zudem eine bevorstehende Hochzeit eingebaut werden, der eine absurd-dämliche Taxi-Liebesgeschichte zugrunde liegt und sich Elly die Haare mit einer Perücke blau färben. Was zur Hölle Teenage Girl 1 bis 3 mit dem Ganzen zu tun haben, erschließt sich mir auch nicht, nachdem ich meine Protein-Pillen genommen und mir einen Helm aufgesetzt habe.
Was Enda Walsh und David Bowie da geritten hat? „Who knows? Not me. You’re face to face with the men who sold the world.“
„Killing a Little Time“ ist jedenfalls ein sehr schöner Euphemismus angesichts des Skripts von „Lazarus“. Und so kann ich einen der Schauspieler auch gut verstehen, wenn er fleht „Kannst du vielleicht ein wenig Milde walten lassen?! Es ist so einfach, jemanden in Grund und Boden zu verdammen – aber jemandem die Chance zu geben, etwas Hoffnung zu finden, wo es keine gibt – das ist wahre Güte!“
Nun gut, du liebe Güte, dann empfehle ich allen, die sich selbst ein Bild machen wollen, die Wiederaufnahme von „Lazarus“ ab 29. Oktober im Volkstheater, aber ich hab euch gewarnt:
„Check ignition and may God’s love be with you!“