5 FRAGEN AN HANNO SETTELE
Sie stehen das erste Mal auf einer Theaterbühne. Wie fühlt es sich an, Teil einer theatralen Fiktion zu sein und dennoch als Journalist Hanno Settele zu agieren?
Unsicherheit beschreibt es am Besten. Das Wissen um die eigene Unfähigkeit als Schauspieler verlässt mich zu keinem Zeitpunkt.
Journalismus beschäftigt sich in erster Linie mit der Suche nach der Wahrheit und die theatrale Kunst behauptet Fiktion als Hypothese. Erkennen Sie Gemeinsamkeiten dieser beiden Gattungen?
Mehr als nur eine. Als TV-Journalist im aktuellen Nachrichtenbereich ist man an die formellen Einschränkungen des Mediums „Fernsehen“ gebunden. Was soll eine 90-Sekunden-Geschichte über das Elend der Flüchtlinge in Aleppo mehr sein als ein Fragment? Der Anspruch kann nur sein, dass die Story wahrhaftig erzählt wird. Aber ist es „Die Wahrheit“?
Wie haben sich die Begrifflichkeiten Terror und Terrorismus in den letzten 40 Jahren Ihrer Meinung nach verändert?
Der Terror in der BRD der 70er Jahre hatte ein Ziel: Der Bevölkerung vor Augen zu führen, dass sie in einem autoritären Polizeistaat lebt. Durch die Attentate sollte die Staatsmacht zu aggressiv-autoritären Reaktionen provoziert werden. Es ging den Protagonisten darum, ein bestehendes System, das sie als undemokratisch und oppressiv empfanden, zu demaskieren und am Ende ABZUSCHAFFEN. Der heutige Terror im Namen irgendwelcher Götter hat genau das Gegenteil im Sinn: Hier soll ein System ERRICHTET werden. Eines, das eben auf den Dogmen irgendwelcher „heiliger“ Bücher fußt. Wer glaubt, die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gepachtet zu haben, der ist durch nichts aufzuhalten. War bei den Nazis nicht anders.
Der OPEC -Überfall fand 1975 in Wien statt, vor Beginn des Deutschen Herbstes und der Hochzeit der RAF. Wo ist diese Tat einzuordnen?
Damals wie heute ist man über den Sinn der ganzen Aktion eigentlich uneins. Um auf die Situation der Palästinenser aufmerksam zu machen, werden 11 arabische Erdölminister entführt? Eine krude Logik. Persönlich erscheint mir Kleins späte Erkenntnis, dass Gaddafi dies eingefädelt hat, um seine eigenen Erdöl-Interessen durchzusetzen, durchaus plausibel. Die Organisation, das Insider- Wissen, die Waffen, das alles kam ja aus der libyschen Botschaft in Wien. Gaddafi starb zwar in einem Abflussrohr, aber als Milliardär.
Ist es in unserer globalisierten Welt überhaupt noch möglich zum Spielball politischer Mächte zu werden ohne die Hintergründe zu durchschauen, so wie Hans-Joachim Klein es beschreibt?
Selbstverständlich. Immer mehr kommen uns – nicht nur in Europa – jene Dinge abhanden, die einst so etwas wie den Kitt der Gesellschaft ausgemacht haben. Partikulärinteressen dominieren unser Zusammenleben. Die Superreichen wollen – das ist banal und wahr – noch superreicher werden. No na ned. In der irrigen Annahme, dass sie ob ihrer „Leistung“ solch grotesk-dekadenten Reichtum „verdient“ hätten, haben sie in den vergangenen drei Jahrzehnten ihr Geld, zur Absicherung des status quo, sehr wohl zur Arbeit geschickt: Auf die politische Bühne. Das Ganze in trauter Einigkeit mit willfährigen Politikern, die den Brainwash vom alles regelnden, gänzlich unfehlbaren und überhaupt anbetungswürdigen „Markt“ zu ihrer politischen Agenda machten. Am besten zu beobachten – wie so oft – in den USA: Dort kaufen sich Multi-Milliardäre völlig offen und für jeden nachvollziehbar gerade ganze Abgeordnetenhäuser. Im Gegenzug stagniert die Kaufkraft der Masse seit 35 Jahren, working poor wird zur Regel. Um Zeit zu gewinnen, wurde die amerikanische Bevölkerung ab 1980, also exakt mit Beginn der Amtszeit von Ronald Reagan, mit Luftikus-Krediten geradezu zugeschüttet. An der Wall Street wusste die sogenannte Elite ab dem ersten Tag, dass dies eine gigantische Überschuldung der privaten Haushalte mit sich bringen würde. Das war erwünscht, dahinter stand Kalkül: Mr. und Mrs. Smith sollten nicht merken, wie ihr Lebensstandard eigentlich im Sinken begriffen war, wie sie langsam aber sicher ausbluteten, wie ihr über Jahrzehnte erarbeitetes Vermögen Stück für Stück umverteilt wurde: nach oben. Plus: Wer Schulden hat, muckt nicht auf. Wer könnte heute verlangen, dass man diese Mechanismen leicht hätte durchschauen müssen? Und wie hätte man sich denn wehren sollen? Erleben wir in Europa im 21. Jahrhundert nicht gerade das Gleiche? Konsumgüter, ja, die sind aktuell oft billiger als zu Zeiten unserer Eltern. Konsumieren ist ja die erwünschte und notwendige Geisteshaltung, damit das Umverteilungs-System funktioniert. Macht ja auch Spaß. Aber echtes Vermögen schaffen, sich zum Beispiel selbst eine Wohnung im Eigentum leisten können, und daneben vielleicht noch ein wenig Geld für Kinder und Co. auf die Seite bringen? Nur ganz wenige Menschen sind heute dazu aus eigener Kraft in der Lage. Die Gründe sind bei Piketty gut nachzulesen. Game over. Freilich: Wer 2015, nach hunderten vergeblichen Bewerbungsvorgängen, den Spruch „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s allen gut“ hört, der wird irgendwann wahrscheinlich zornig. Und Zorn ist ein sehr ungeeigneter Ausgangszustand, wenn es darum geht, Hintergründe zu durchschauen. Auf der anderen Seite wissen nicht einmal jene, die aktuell die Kommunikation der gesamten Welt überwachen, was wirklich los ist. NSA und Co. ertrinken ja förmlich in der Informationsflut, die sie sich gesetzeswidrig, illegal und unter permanentem Verfassungsbruch tagtäglich aneignen.
Das Gespräch führte Hannah Lioba Egenolf