ES IST DIE KRISE DER LINKEN, DASS SIE KEINE ERFOLGREICHE ERZÄHLUNG MEHR HABEN

Ein Gespräch mit Harald Posch

Die Uraufführung von „Italienische Nacht“ von Ödön von Horváth fand 1931 mit großem Erfolg in Berlin statt. Noch im gleichen Jahr wurde der Text in einer entpolitisierten Fassung in Wien erstaufgeführt. Warum hast du dich für diesen Stoff entschieden? Was interessiert dich daran?

Ödön von Horváth hat mit „Italienische Nacht“ sein politischstes Stück geschrieben und das Frappante daran ist, dass es eine unglaubliche Parallelität zur Gegenwart gibt. Er schrieb schon 1931 über den heraufziehenden Nationalsozialismus. Und er beschreibt dabei in erster Linie nicht den Nationalsozialismus, sondern die schon seit 1919 mit absoluter Mehrheit regierende Sozialdemokratie, die zwar eine der modernsten Städte Europas aus dem Boden gestampft hat, aber in ihrer Etabliertheit und Saturiertheit wie auch viele andere in dieser Epoche die Gefahr der rechten Populisten – wie man heute sagen würde – fatal unterschätzt hat und vielmehr am eigenen Machterhalt gearbeitet hat um mit dazu beizutragen, dass die Dinge kamen wie sie kamen. Das ist eine Parallelität zu heute: Die bürgerliche Linke sitzt wie das Kaninchen vor der Schlange. Der Rechtspopulismus übernimmt Themen, bevor die Sozialdemokratie eigene Themen und Positionen entwickelt hat, die dem etwas entgegenstellen. Und zwar so entgegenstellen, dass ihre Wählerschaft, so wie man sie klassisch mal definiert hat, sich wieder identifizieren könnte.
Seinem Text liegt aber nicht nur diese politische Situation zu Grunde, sondern Horváth hat auch Literatur geschrieben. Das ist ein ganz entscheidendes Kriterium, man hätte ja sonst auch einen anderen Autor aus den Dreißigern nehmen können. Horváth ist einer der besten und konsistentesten Literaten und Dramatiker der Zeit. Er hat eine unglaublich verdichtete Sprache, die immer total am Punkt ist. Er hat Menschen, die an den Rand gedrängt sind, beobachtet und deren Sprache analysiert. Eigentlich mag ich das Gerede über Horváths Sprache gar nicht so – aber er zeigt einfach eine nicht so gut ausgebildete Schicht, die mit der bildungsbürgerlichen Sprache überfordert ist und quasi Kalendersprüche produziert, ohne es zu wollen. Das war für mich auch ein Kriterium, jetzt Horváth zu machen. Und natürlich die Rezeptionsgeschichte: Horváth ist leider zu einem bürgerlichen Autor verkommen. Aber wir leben jetzt in einer anderen Zeit, wir leben in einer anderen Sprache, einer anderen Bildsprache und überhaupt einer anderen Rezeption von Politik. Mein Versuch ist, damit umzugehen und die Popkultur einziehen zu lassen in den Text und ihn dem bürgerlichen Theater zu entreißen. Das ist mir ein Anliegen. Ich glaube, man kann den Stoff auch ein bisschen hemdsärmeliger, gegenwärtiger und poppiger erzählen.

Wie du eben bereits kurz angesprochen hast, befindet sich die linke Politik in einer schweren Krise, die sich aber seit Jahrzehnten angebahnt hat. Woran würdest du diese Entwicklung festmachen?

Im Grunde daran, dass man die sogenannte Linke bewusst versucht hat zu unterwandern, bewusst versucht hat, ihnen das Vokabular zu nehmen, versucht hat ihnen die Position und Identität zu nehmen. Man hat die Klassenzugehörigkeit für obsolet erklärt und gesagt: Brecht doch auf in die Moderne und geht doch den Weg, der den Kapitalismus gar nicht mehr in Frage stellt – denn eure Konzepte sind alte Konzepte. Und das hat man auch viel zu stark angenommen in der Linken, dieses neue Wording, und hat sich viel zu stark mit dieser – wie Angela Merkel es nennt – Alternativlosigkeit identifiziert: Es gibt nur noch das kapitalistische System an dem wir ohnehin nicht rütteln können, wir können nur innerhalb des Systems graduieren, Anpassungen vornehmen. Und das aber immer unter dem Motto „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“. Aber das ist natürlich eine Lüge.
Es ist die Krise der Linken, dass sie keine erfolgreiche Erzählung mehr haben. Das kapitalistische System hingegen hat die Erzählung des Erfolgs, es kann sagen: Wenn ihr uns folgt, werdet ihr mehr Geld verdienen, es wird euren Kindern besser gehen, die Ausbildung wird besser werden. Und das sind ja eigentlich linke Positionen gewesen! Der Linken ist diese Generalerzählung abhandengekommen. Die Frage danach, wer verantwortlich dafür ist, dass Abstiegsängste, soziale Einbrüche, Abschaffungen von sozialen Netzen etc. existieren, wird nicht mehr bis zum Ende durchdekliniert, sondern man sagt: Wer nicht gut genug ist, kann nicht mithalten. Dieser neoliberale Ansatz hat sich durchgesetzt und die Linke steht vor dem Problem, eine Erzählung zu entwickeln, die eine Perspektive auf die nächsten achtzig bis hundert Jahre gibt.

Wie würdest du diese Entwicklung in Bezug auf Österreich beschreiben?

In Österreich war die Sozialdemokratie von Anbeginn an etwas stärker entwickelt. Gerade das Rote Wien, das berühmte und mittlerweile auch glorifizierte Rote Wien, hat tatsächlich in seiner Zeit einen ganz anderen Weg genommen als die deutsche Sozialdemokratie. In der Zeit ist ja auch unser Stück entstanden. Und der sozialdemokratische Gedanke ist in Österreich auch ein bisschen stärker im Bewusstsein verankert, habe ich das Gefühl. Aber natürlich ist die Sozialdemokratie auch hier wie in ganz Westeuropa eine Partei der Mitte geworden und hat sich mit dem Kapital ins Bett gelegt. Das gesamte politische Establishment des Westens ist in Geiselhaft dieses Systems. Und das sind nicht einmal die Rechten. Die Rechten greifen nur noch die Leute ab, die frustriert sind von diesem System, weil sie merken, dass diese linke Politik – und da kann man jetzt die SPÖ neben die ÖVP stellen, die CDU neben die SPD, das ist vollkommen egal – eine bürgerliche Politik ist, die jemandem, der vom Kapitalismus an den Rand gedrängt wurde, keine Lösungen mehr anzubieten hat. So entstehen wahnsinnige Frustrationen, große Ängste, und die lässt der Wähler raus, indem er den Rechtspopulisten folgt. Das ist jetzt vielleicht etwas verkürzt dargestellt, aber so in etwa schätze ich das ein.

Abgesehen von denen, die in der Öffentlichkeit stehen, weil sie Politiker oder Denker sind: Wer sind eigentlich die neuen Rechten? Woher kommen sie und was treibt sie an?

In erster Linie bewegt sie sicher der Wille zur Macht, und zwar zu einer sehr vereinfachten Machtstruktur, die heißt: „Wir“ haben ein gewisses Abstammungsrecht, ein biologisches oder wie immer man das auch argumentiert auf der rechten Seite, und daher machen „wir“ auch die Regeln. Der Fehler fängt ja da schon an in der Einteilung zwischen „Wir“ und „Die“. Und dann sind es zumeist relativ schlichte Gemüter, die eine sehr simplifizierte Politik machen, die einfach nicht mit jedem diskutiert und jede Meinung hören will, schon gar nicht, wenn sie etwas differenzierter daherkommt. Und das wiederum hat natürlich auch mit Bildung zu tun – und da muss sich die Linke schon fragen, wieso diesem Menschen keine Bildung bekommen haben. Was diese neuen Rechten antreibt ist ganz klar: Dieses diversifizierte System zu kippen, weil es ihnen zu kompliziert ist. Und man kann die Frustration und die daraus resultierenden Ängste und Aggressionen mitunter ja auch nachvollziehen, wenn z.B. die Pension weit unter einem Mindestlohn liegt beispielsweise. Und diese Ängste werden dann von den Protagonisten dieser Politik kanalisiert. Das ist leider wirklich eine Parallele zum Nationalsozialismus, den Horváth in seinem Stück beschreibt. Man muss Feindbilder schaffen, die einfach und klar erkennbar sind. Damit bekommt man Gehör gerade bei sozial schwächeren Gruppen. Und wenn man sich dann so Rufe anhört wie „Wir sind das Volk“ – was ja ohnehin die undifferenzierteste Aussage an sich ist – muss man sich natürlich fragen, wer oder was ist denn das Volk? Dahingehend lässt sich ja auch unser Spielzeitthema „Vorsicht Volk“ erörtern. Ist „das Volk“ wirklich so eine homogene Masse, wie sich das die Rechtspopulisten gerne wünschen? Gibt es nicht einfach so viele Positionen, Standpunkte und Meinungen, wie es Menschen gibt auf dieser Welt? Natürlich kann man diesen Ruf und diese Sehnsucht nach Vereinfachung auch ab und an nachvollziehen. Natürlich wär’s schöner wenn das Leben einfacher wäre. Es ist aber nicht einfach. Der Fingerzeig auf wen anderen aber lässt es ab und zu einfacher erscheinen.
Wir sehen das ja gerade an all diesen autoritären Regierungen, die sich etabliert haben oder im Begriff sind sich zu etablieren, sei es jetzt in Polen oder der Türkei, in Russland oder jetzt auch den Vereinigten Staaten. Diese vereinfachenden Darstellungen lassen sich natürlich nicht so ohne Weiteres umsetzen. Sie scheitern ja meistens schon in den ersten Schritten, nämlich an ihrer eigenen Glaubwürdigkeit, das ist ja das Erstaunliche. Und dann müssen sie ihr System umso autoritärer durchsetzen.