WENN DU DICH NICHT MIT POLITIK BESCHÄFTIGST, WIRD SICH DIE POLITIK MIT DIR BESCHÄFTIGEN

Ein Interview mit Regisseur Ali M. Abdullah

Warum Michel Houellebecqs „Unterwerfung“? Was interessiert dich an dem Roman und bei der Bearbeitung des Stoffes für das Theater?

Erstmal glaube ich, dass dieser Roman einer der spannendsten ist, den es zurzeit gibt, der dieses Thema, das uns die nächsten Jahrzehnte hier in Europa beschäftigen wird, sehr gut erfasst und auf eine ungeheuer irrwitzige Art und Weise visionär beschreibt. Das Thema der Einwanderung in Europa, das derzeit die Schlagzeilen bestimmt, wird quasi vorweggenommen. Der Roman ist 2015 erschienen, aber Michel Houellebecq hat ihn sicher schon mindestens zwei Jahre vorher konzipiert – auch wenn er sagt, dass er das Ganze zunächst als Konversion zum katholischen Glauben gedacht hat und es sich dann aber weiterentwickelte. Jetzt geht’s in „Unterwerfung“ im Zentrum um eine Figur, die vermutlich zum islamischen Glauben konvertiert. Ich glaube, dass die Art wie Houellebecq die Probleme unserer Zeit zusammenfasst, wirklich einzigartig ist. Natürlich wird ihm vorgeworfen, dass er islamophob sei, dass der Roman spekulativ wäre und sich nur an der Oberfläche mit dem Thema beschäftigen würde. Selbst François Hollande und Manuel Valls haben Kommentare dazu abgegeben – und das muss ein Roman erstmal schaffen, dass er sich so in das Zentrum des gesellschaftlichen Diskurses reinreklamiert und ein Bild Europas zeigt – so seine These – das zum Scheitern verurteilt ist.
Die Medien und auch die Politik haben sehr stark versucht, den Roman zu instrumentalisieren – für ihre Seite, für ihre Ideen. Houellebecq hat da sehr schön darauf geantwortet: „Wer mich vereinnahmen will, ist noch nicht geboren.“ In seinem Roman beschreibt er verschiedene Versionen des Zukünftigen auf eine sehr satirische Art und Weise – die zum Teil eben auch richtig düster werden kann. Man kann aber nicht sagen, dass im Roman steht, dass 2022 der Islam Europa übernehmen soll und dass das für uns am besten wäre. All diese Plattitüden an Aussagen sind von Houellebecq nicht geschrieben, nicht gedacht und nicht intendiert und werden auch in unserer Bearbeitung nicht gemacht. Ganz im Gegenteil: Houellebecq beschreibt – wie auch in seinen anderen Romanen – immer wieder ein zum Scheitern verurteiltes Europa und Figuren, die auf der Suche sind nach einem neuen Wertesystem. Und dieses Mal ist die Hauptfigur auf der Suche nach einem Wertesystem, das ihm auf einer Metaebene ein Leben mit harten Schicksalsschlägen – wie Tod der Mutter, Tod des Vaters, Verlust der Freundin, Verlust des Jobs – noch möglich macht. Und da wendet er sich dem Religiösen zu. Er versucht sich zunächst an einer Art von Wiedererkennen seiner christlichen Herkunft – das missglückt aber. Und dann bekommt er ein Angebot und sieht die Konversion zum Islam als neue Möglichkeit, die er überprüft und überdenkt. Ob er sich dafür entscheidet sagt der Roman nicht.

„Unterwerfung“ erschien in Frankreich am Tag des Terroranschlags auf das Redaktionsbüro von Charlie Hebdo. Die gesamte Rezeption des Romans bezieht immer dieses Ereignis mit ein und betrachtet den Roman kaum singulär. Man kann natürlich nur mutmaßen, aber: Wie wären die Rezensionen des Romans ausgefallen, wenn diese Anschläge nie passiert wären? Und: Haben diese Angriffe – wie auch der Terroranschlag in Paris am 13. November 2015 – Einfluss auf deine Arbeit an dem Stoff genommen?

Natürlich würde mich auch interessieren wie die Rezensionen ausgefallen wären, wenn der Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo nie passiert wäre und auch die letzte Anschlagsserie in Paris nicht stattgefunden hätte.
Ich glaube, alle hätten sich über den verrückten Monsieur Michel Houellebecq lustig gemacht und gesagt: „Was schreibt denn der alte Sack? Ist der denn schon vollkommen senil?“. Aber meiner Meinung nach hat er mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen, ist seiner Zeit weit voraus und hat etwas gesehen, das uns wirklich beschäftigen muss in nächster Zeit. Man könnte fast sagen, dass das Credo, welches sein gesamtes Oeuvre durchzieht, immer wieder ist: Beschäftigt euch mit eurem politischen Umfeld. Seid wachsam. Schaut, was da passiert und verhaltet euch. Er lässt ja die Hauptfigur François auch folgendes sagen: „Ich bin politisch wie ein Handtuch.“ Und das ist vermutlich auch die größte Mahnung von Houellebecq und fast sein größter Appell und da spielt er eben auch mit gruseligen Szenarien um dem Leser zu suggerieren: Wenn du dich nicht mit Politik beschäftigst, wird sich die Politik mit dir beschäftigen und stellt dich vor vollendete Tatsachen.

Michel Houellebecq musste sich in den vergangenen Jahren oft dem Vorwurf der Islamophobie aussetzen – und hat im Zuge der Diskussion um seinen Roman „Unterwerfung“ gesagt: „Jetzt muss ich zwei Dinge in einer Endlosschleife erklären: Erstens, dass mein Buch kein islamophobes Buch ist, und zweitens, dass man das Recht dazu hat, ein solches Buch zu schreiben“.
Wie ist da deine Sicht der Dinge?

In der Kunst und in der Literatur hat ja diesbezüglich schon eine Beschäftigung stattgefunden. Die Literaturkritiker haben mittlerweile verstanden, dass – wenn man eine Figur zeigt, die islamophob ist – der Autor nicht gleichsam ein islamophobes Gedankengut abgibt.
Dieses Thema, dachte ich, ist mittlerweile überwunden. Aber anscheinend ist das nicht so und Houellebecq beklagt sich auch darüber, dass, immer wenn er einen Roman mit einer islamophoben Figur schreibt, dass er dann als islamophober Schreiberling tituliert wird. Dieser dumme Rückschritt, den wir da mittlerweile in der Literatur- und in der Kunstkritik gemacht haben, der sucht seinesgleichen. Wir haben zum Beispiel auch Romane von Matias Faldbakken hier in Wien auf die Bühne gebracht, in denen pädophile Hauptfiguren vorkommen. Daraufhin hat sich kein Kritiker dazu bereiterklärt mit Faldbakken überhaupt ein Interview zu führen. Dass das aber alles nur Gedankenspiele sind, um eine verrottete Gesellschaft im Hier und Jetzt zu beschreiben, das wollen die Leute nicht sehen. Vielmehr wollen sie das Ganze dann stigmatisieren, um zu zeigen, dass sie damit nichts zu tun haben. Und Houellebecq zeigt hier also Menschen, die den einen oder anderen  gar nicht so stark ausgeprägten islamophoben Ausdruck machen. Im Roman selbst ist ja diesbezüglich gar nicht so viel drin, mitnichten. Und trotzdem haben Leute Angst vor so einer Vision, die Houellebecq beschreibt. Aber im Kern geht’s ihm nicht darum, Angst vor dem Islam zu schüren, sondern vielmehr darum, die Menschen dazu zu bringen sich über die politischen Geschehnisse, die wir jetzt hier gerade – und auch schon vor der sogenannten Einwanderungswelle – in Europa haben, Gedanken zu machen und das System zu überprüfen, in dem wir leben. Was ist das für ein Gesellschaftssystem? Welche Werte haben wir und was kommt in Zukunft auf uns zu? Was könnte da kommen und wie könnten wir uns verhalten? Und er sagt selbst, dass er natürlich nicht weiß ob das eintritt, es ist eine Fiktion, eine Versuchsanordnung. Und darum geht’s uns auch in der Bearbeitung: Gedankenmodelle zeigen und zur Diskussion stellen.

„Unterwerfung“ seziert akribisch das politische Gefüge im gegenwärtigen Frankreich, spinnt es fiktiv weiter und zeichnet ein sehr genaues und satirisches Porträt der französischen Gesellschaft. Gegen wen richtet sich Houellebecqs Kritik bei dieser Versuchsanordnung?

In erster Linie richtet er sich wie immer an die eigene Zunft, an die linke intellektuelle Elite – obwohl er natürlich bestreitet, ein Intellektueller zu sein. Er möchte den gesellschaftlichen Diskurs zum Status quo vorantreiben. Aber er kritisiert natürlich auch die aktuelle Politik, die Politiker und alle, die an der Gestaltung einer Gesellschaft beteiligt sind. Da bekommt jeder sein Fett ab. Und das ist auch seine große Qualität. Es sind ja teils recht krasse politische Aussagen, die Houellebecq da ganz locker trifft – diese aber auch sehr bewusst setzt. Und damit auch eine Art Kassandra-Ruf abgibt indem er sagt: Wehret den Anfängen!

Der Protagonist in „Unterwerfung“, der 44jährige Literaturwissenschaftler und Hochschulprofessor François, steht in einer Reihe mit anderen Figuren aus Houellebecqs früheren Roman, wie z.B. das ungleiche Brüderpaar aus „Elementarteilchen, Michel aus „Plattform“, der Künstler Jed Martin aus „Karte und Gebiet“. Was zeichnet diese Figuren aus? Wofür stehen Sie im Werk Houellebecqs?

Diese Figuren bei Houellebecq sind immer hochausgebildete Spezialisten in einer Gesellschaft, die nach hochausgebildeten Spezialisten sucht und diese auch verehrt und hoch schätzt. Diese Spezialisten stellt er ins Zentrum.
Sie agieren aber oft sehr weltfremd und kommen in Situationen oder auch in eine Gesellschaft, die sie nicht verstehen. Und dieses Nicht-Verstehen ermöglicht es dem Autor, eine Welt zu beschreiben – eben aus einem Nicht- Verstehen dieser Welt heraus. Das ist der spannende Vorgang bei ihm. Auch François durchdringt das sich verändernde politische Gefüge zunächst nicht, gleichzeitig denkt er aber natürlich intellektuell auf höchstem Niveau und setzt sich erstmals mit dieser sich verändernden, politischen Situation auseinander, nimmt den Leser mit auf die Reise und lässt ihn an allen ersten Gedanken – warum diese Politik so und so funktionieren könnte oder warum nicht oder wie er sich verhalten sollte – teilnehmen. Das macht das Ganze sehr spannend. Und bis zum Schluss wissen wir nicht, wie François sich verhalten wird. Da funktioniert er als Identifikationsfigur natürlich großartig, das sind uralte Mechanismen des Mitdenkens, die bei Houellebecq immer sehr einfach und sehr klar daherkommen und den Lesern und Zuschauern ermöglichen, sich da schnell und ganz plastisch reinzudenken in diese Welt, die er beschreibt.