Die Lust haben auf Macht, nehmen das auch in Empfang, das ganz alte Krönchen
Ein Gespräch mit Schorsch Kamerun
Das Projekt „Herrschaftszeiten (noch mal?)“ will Machtverhältnisse von früher (k.u.k. = kaiserlich und königlich) bis heute (S.u.K. = Sebastian und Kurz) untersuchen.
Wie kamst du auf die Idee zu dieser Produktion? Einen Theaterabend zu entwerfen, der sich um Macht und deren Missbrauch dreht?
Ich meine Macht hier eigentlich eher im Sinne des klassischen Begriffes. Machtmissbrauch hat zwar oft unmittelbar damit zu tun, scheint mir aber gerade aktuell etwas spezieller verortet – in Politik und durchaus auch in der Kultur, auf Ibiza oder in Hollywood. Auf Themen wie dieses gelange ich sehr oft über die Frage nach Autoritäten. Also wer hat wem etwas zu sagen, und warum darf der / die das? Wie nimmt Gesellschaft das an und wie lassen sich teils verkrustete Bestimmstrukturen möglicherweise verändern? Es geht also um die Stellung zwischen der Machtausübung und einer Gemeinschaft, auf die jene prallt. Im Besonderen untersuchen wir bei „Herrschaftszeiten (noch mal?)“ die Beziehung k.u.k. versus Kurz, um großgesellschaftliche Stellungen auf ihre zeitlichen Verläufe zu überprüfen. Gestern Kaiser und heute genaugenommen immer noch? Mit verwandten Eindrücken bin ich im Übrigen familiär aufgewachsen, ein stückweit hat das eben auch mit meiner Biografie zu tun, weil ich noch ein hausinternes, striktes Schwarzweiß-Dominieren kennenlernte. Auch waren starre großpolitische Blöcke für mich relevant, die westliche und die östliche Welt, welche ja gerade wieder aufleben im Ukraine- Konflikt, inklusive allem mittelalterlichen, martialischen Säbelrasseln. Und dann weitergedacht, auch noch die Gefüge, welche mit territorialen Ansprüchen zu tun haben oder vielleicht auch mit Aufstellungen wie Masse und Macht nach Canetti. Wie also wächst der Mensch in welchen Machtverhältnissen auf, in Gesellschaft, Familie, Bildungsinstitut und in einer „Arbeitswelt“? Wegen meiner eigenen, schwer autoritären Umgebung innerhalb meiner frühen Biografie bin ich da vielleicht besonders sensibilisiert. Ich erlebte eine patriarchalische Vaterfigur zuhause, dann eine Schule mit Ex-Nazi-Deutschlehrern und als nächstes noch den rigiden Lehrherren, dessen „Lehrjahre noch keine Herrenjahre“ waren. Auch Politik zeigte sich seinerzeit vielfach erfolgreich hochbrausend, wie sie heute eher selten durchkommen würde – wobei sich auch hier frische Renaissancen präsentieren bei Trumps, Orbans, Höckes oder hiesigen Freiheitlichen. Insbesondere der zunehmende Wunsch und die Ausübung der „starken Hand“ erlebe ich als zutiefst irritierend, als jemand der 1980 als junger Punker Wahlplakate des ultra polternden Franz Josef Strauß ins Meer warf in seinem Provinz-Kaff an der Ostsee. Wie stehen wir also den unterschiedlichsten Machtausübern gegenüber innerhalb unserer Daseinswerdung? Und wie solch Verhältnisse eigentlich in Frage stellen, weil möglicherweise auch gar nicht anders könnend, also entweder daran zerbrechen, oder sich auch drüber hinwegsetzen, dagegenstellen und im besten Fall neuerungsfeindliche Strukturen bekämpfen und verändern – wenn möglich. Das hat bei Punk kurzzeitig gut funktioniert. Weil Punk so radikal all die tauben Daseinsvorschläge in Frage stellte mit seinem „No Future“-Move – bis dieser allerdings recht schnell Mainstream und Marke wurde, also sich eigentlich bis zum heutigen Tage Stück für Stück hinfort-verästhetisierte. Mich interessiert das Abgleichen von Mustern, die sich wiederholen, sich loopen – das mache ich eigentlich von Anfang an. Eines meiner ersten, größeren Theaterstücke, damals am Schauspielhaus Zürich, hieß „Macht fressen Würde“, wo wir uns die Frage stellten, wie sich der damals noch recht frische Neopopulismus Autorität und Angststrukturen zu eigen machte und damit erfolgreich wurde, Landeshauptmann Haider grüßte da schon am Horizont. Und weil gerade die neue, populistische Politik sich bis weit hinein in die gesellschaftliche Mitte vielfach der alten Traditions- und Regentenprinzipien bedient, haben wir uns mit unserem Musiktheaterstück künstlich zurückbesonnen auf k.u.k., inklusive solitärem Kaiserausdruck und seinen Anhängen, auch um uns zu fragen, ob jene herrschaftlichen Zeiten teils wieder Standard werden infolge eines Backlashs des Franzjosephlichen und mit zunehmender Selbstverständlichkeit sozusagen.
Wo sind denn die Wurzeln unserer gelebten Hierarchien, die auch im Heute aktuell sind? Stichwort Neopopulismus?
Bei unserer letzten Produktion hier am WERK X waren wir mit „Me are the World“ noch direkter bei Trump und man muss sagen, dass unsere damalige Überhöhung sich schauderhaft selbst überholte, da braucht man sich nur die Stierhörner anschauen die am 6. Januar 2021 das Washingtoner Capitol stürmten. Bei „Herrschaftszeiten (noch mal?)“ simulieren wir als Spielaufstellung quasi in einer Art Fortsetzung diesmal ein Konfliktbewältigungszentrum mit unterschiedlichsten, ausprobierbaren Facetten von Macht und Gegenreaktion. Heute erleben wir das Thema der Gesellschaftsspaltung, hören von Demokratiezerrüttung. Darin muss man sich verorten. Und ich würde schon sagen, dass das Gefüge Kurz und seine „Familie“, eine Umkehrbesinnung auf zutiefst rücksichtloses, höfisch-arrogantes Verhalten zeichnet. Aber wer wählt das, wünscht sich solche Pyramidenstrukturen? Nur diejenigen, welche eine streng „übersichtlichere“ Welt wollen? Als besonders schmerzhaft erlebe ich gerade die Verkehrung der Begriffe wie Freiheit, Alternative, Revolution oder bestimmte Lügenzuweisungen, die von einem vorherrschenden Diktat erzählen, sich aber gleichzeitig einem solchen näherbringen innerhalb zunehmender Forderungen nach Ausgrenzung. Und so sind häufig Querdenker*innen, Pegida, Reichs- und Freibürger*innen trotz Unterdrückungsbeschwerden sehr oft dieselben, welche ein deutlich hierarchischeres Gefüge wollen. In dieser urfiesen Gemengelage stellen wir uns also Fragen und überprüfen Begrifflichkeiten. Eben, in Deutschland heißen sie „Alternative für Deutschland“ und die meinen dabei eigentlich ein noch viel, viel deutscheres Deutschland, wenn man es genau nimmt.
Und hier heißt es „Freiheitliche Partei Österreichs“.
Genau. Und das ist für mich als Außenbesichtiger schon sehr bemerkenswert, also auch wie so eine doch eher bürgerlich gemeinte ÖVP sich einfach komplett ins verdünnte Grelle umlackieren ließ, nur um Pfründe zu klauben. Die haben eine bestimmte politische Einfachökonomie als Erfolgsmodell schon verstanden, wenn man so will. Eigentlich geht es aber auch hier am Ende pur um Macht, deren Ausbau und deren Erhaltung. Und wenn es dann doch mal eng wird irgendwie, nix wie ab in die rechtzeitig gehegte Lobby, hinein zu Mama Wirtschaft, in einen noch wärmeren Schoß.
Würdest du diesen Theaterabend genauso in Deutschland machen – oder hat dieses Thema auch was ureigen österreichisches für Dich? Ich bin ja nur naiv draufschauend auf das Gefüge Österreich, ich denke aber sicher, dass es schon rein von der ganzen thematischen Aufstellung ein globales Thema ist. Du könnest auch in China die meisten unserer Fragen stellen, oder gar in Afghanistan, nur an jeweils andere Player. Zum Teil spielt dann Religion oder kulturelle Eigenart mit rein, und überhaupt: An was glaube ich? Was hierzulande auffällt, und deswegen sagen wir auch k.u.k., hat, meinetwegen klischeehaft und so als Piefke grob drüberschweifend, eine besondere Höhe erlangt , so scheint es mir, zumal auch viele Symboliken durchaus genüsslich weitergereicht werden. Wie heißt der Platz, wo sich das immer alles dreht?
Du meinst wahrscheinlich den Ballhausplatz.
Genau, und dann die Hofburg und all diese anderen Schlossmauern mit ihren Perücken dahinter. Trotzdem, ich halte Österreich für überhaupt nicht unmoderner insgesamt, im Gegenteil, aber in der Bildsprache ist das eben zum Teil schon so. Das versucht unser Germania im Übrigen gewollt anders, bis hin zum kühlen Krampf. Jedenfalls, wir haben während der Probenzeit dieses TVKabarett gesehen „Wir sind Kaiser“, es gibt den Opernball etc. … ich mag das ja alles auch wirklich und das hat seine Wahrheit und manchmal auch extra nicht, und ich will damit auch nicht sagen, dass hier irgendwie etwas vergleichbar Rückschrittiges vorherrscht, aber es wird hier zum Teil höchst auffällig zelebriert zumindest. Manchmal unter echtem Lustgewinn, gerade wenn ich mir im Gegenteil Berlins in Zink gefasstes Kanzleramt mit dem ultra pragmatischen Neuinhaber, dem Herrn Scholz aus Hamburg, ansehe. Trotzdem, wie hält unsere Gegenwart anschwellendes Zepterschwingen aus, braucht es reale Monarchien, die manchmal nur repräsentativ sind, Stichwort England? Mir scheint in Österreich gehen manche Dinge ein wenig Hand in Hand, und das ist zum Teil auch durchaus gewünscht, weil diese Tradition, die da zu sehen ist, vielleicht auch eine schöne Erkennbarkeit hat und mit der lässt es sich arbeiten, sei es nur um noch schärfer zu behaupten „das Fremde“ raube uns ansonsten jegliche Sicherheit. Es könnte ja auch jemand mal sagen, wenn ihr uns wählt, dann wischen wir das völlig weg, traut sich aber niemand, weil dann wird vielleicht überhaupt nicht gewählt. Ich glaube die, die Lust haben auf Macht, nehmen das auch in Empfang, das ganz alte Krönchen – manch andere geleiten gewollt oder unreflektiert bei „Telegram-Spaziergängen“ und kommen sich dabei vor wie endlich mal angehörte, freche Anarchos.
Das Interview mit Schorsch Kamerun ist ein Originalbeitrag für das Programmheft „HERRSCHAFTSZEITEN (NOCH MAL?)“. Die Fragen stellten Hannah Lioba Egenolf und Marie-Louise Fürnsinn.