Das Rote Wien, das steht ja für etwas!
Aus einem Gespräch zwischen Rudi Palla & Helmut Köpping
Also, wie ist das Ganze entstanden: Der Peter Turrini hat mich eingeladen zu dieser Arbeit, das war im Frühjahr ‘83, da haben wir das erste Mal über ein mögliches Konzept gesprochen. Drei Teile waren das anfangs, das hat uns interessiert: Wie schlägt man den Bogen, wie entwickeln sich diese drei Teile? Und dann haben wir chronologisch begonnen, Teil 1 sollte im April 1945 spielen, Teil 2 im Sommer 1961 und Teil 3 in den 80er-Jahren – die Verfilmung war dann ja nicht chronologisch – aber das ist eine andere Geschichte.
Wie sah die Zusammenarbeit zwischen euch aus, wenn ihr geschrieben habt?
Habt ihr alles gemeinsam gemacht?
Ja, das war ziemlich gut zwischen uns beiden. Wir haben uns ja schon gekannt, wir haben dann sogar nebeneinander gewohnt, in der Neudeggergasse. Und da ist man nur von einer Wohnung zur anderen, und umgekehrt. Und da sind wir uns halt vis-à-vis gesessen und haben uns Szene für Szene vorgearbeitet und haben uns gefragt: „Was könnte jetzt kommen?“ Dann haben wir Dialoge ausprobiert und uns vorgesprochen. Ja, das war wirklich eine Gemeinschaftsarbeit.
Und der Bogen dieser drei Teile beschreibt die Geschichte der Zweiten Republik? Oder ist es dann doch spezieller die Geschichte der Sozialdemokratie in der Zweiten Republik? Was war eure ‚Überschrift‘?
Es beginnt ja mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, praktisch der Neuanfang, denn die Sozialdemokratie war ja vom austro-faschistischen Regime verboten worden. Es hat sich dann im Untergrund eine Gruppe gebildet, die sich Revolutionäre Sozialisten genannt hat, die waren unser Ausgangspunkt. „Lassen wir doch den Neubeginn mit der Geburt eines Genossen starten“, das war unsere Idee. Und im zweiten Teil sollte dann diese damals sehr starke Jugendbewegung, sowohl der Gewerkschaften als auch der Roten Falken, im Zentrum stehen. Das wurde damals sehr gepflegt, diese Gruppenarbeit. Und das war für viele, auch für mich zum Beispiel, eine gewisse Bekanntschaft mit der Sozialdemokratie. Ich kannte mich, im Gegensatz zum Peter, ein bissl aus in der Materie. Der ist ja im katholischen Kärnten völlig anders aufgewachsen. Meine Eltern waren eingefleischte Sozialdemokraten, die haben mich in die Sommerlager der Roten Falken geschickt. Mein Vater war Schriftsetzer, wie der Karl Blaha, und ist schon früh aus der Kirche ausgetreten.
Eure ganz eigene Verbindung von Fiktion und Historie – das fand ich sehr, sehr spannend. Habt ihr eigentlich auch mit Historikern gesprochen? Die Geschichte der Hilde Krones von den Revolutionären Sozialisten zum Beispiel, die hat uns sehr inspiriert. Die nennt ihr ja auch im Drehbuch.
Ich hatte ja sogar noch zwei Drehbücher geschrieben, die nicht mehr verfilmt wurden – die hätten die Vorvorgeschichte erzählt, mit der Gründung der Revolutionären Sozialisten im 34er- Jahr. Ja, ich würde sagen, die Abläufe stimmen im Großen und Ganzen schon historisch. Wir haben als Berater den Michael Mitterauer gehabt, der das Institut für Sozialgeschichte an der Uni Wien geleitet hat. Und den Wolfgang Maderthaner, der damals der Leiter des Vereins für die Geschichte der Arbeiterbewegung war. Deren Archiv war im alten Vorwärts-Haus. Der war eine große Hilfe. Und im Stadtarchiv gibt es Zeitzeugenberichte der Wiener Bevölkerung aus den ersten Tagen der Befreiung, da habe ich auch viel recherchiert – ein irres Archiv, alles in Ringordnern damals. Und der Viktor Matejka, der lebte damals ja noch, der hat uns viel aus seiner eigenen Zeitgenossenschaft heraus erzählt.
Aber die Idee, das alles mit einem Plakat zu verbinden, kam eigentlich von meinem Vater. Mein Vater und sein Schwager waren nach der Befreiung in Ottakring diejenigen, die die Radetzky- Kaserne mehr oder weniger befreit und das ganze Material, Decken, Betten, Matratzen, an die Ausgebombten in Ottakring verteilt haben. Mein Onkel war dann später auch viele Jahre Nationalratsabgeordneter. Und mein Vater wurde, da waren die Russen schon in Wien, gebeten oder aufgefordert oder hat sich angeboten, dieses erste Plakat zu drucken als Schriftsetzer. Er hatte damals noch sehr gute Verbindungen zu seiner früheren Druckerei im 17. Bezirk. Das hat alles tatsächlich stattgefunden.
Das wusste ich gar nicht, dass das doch so eine biographische Anbindung hat. Mein erster Gedanke war ja, dass es am 1. Mai 1945 noch gar keine Mai-Veranstaltung geben konnte. Zu dem Zeitpunkt herrschte ja noch Krieg in vielen Teilen Österreichs.
Doch, die hat es gegeben. Das war die erste große Manifestation der wiedererstandenen Sozialdemokratie.
Und wie kam es zu dem Titel „Arbeitersaga“?
Nach der „Alpensaga“ war Peters Idee „Mach ma doch eine Geschichte aus dem städtischen Raum!“ Und dass es etwas Politisches sein sollte oder etwas, das in die Nähe des Politischen kommt, das war auch klar. Und was bietet sich an? Die Sozialdemokratie, die stand uns näher. Und das Rote Wien steht ja auch für etwas!
Aber das Ganze „Arbeitersaga“ zu nennen, das eckte an im Haus. Also nannte man das Projekt erstmal „Auf eigenen Beinen“. Auf eigenen Beinen, ja, das ist doch wunderbar. Das sagt nämlich überhaupt nichts. Unter diesem Namen sind aber die Verträge gelaufen, und alles andere, und erst kurz vor der Verfilmung wurde es zur „Arbeitersaga“.
Bei Teil Nummer 2 hat uns übrigens dann die Gewerkschaft mit einer Klage gedroht. Und die Rechtsabteilung im Sender hat immer wieder Dialogstellen beanstandet – die wären zu obszön. Das Wort „Zumpferl“ zum Beispiel, das hat einen Riesenskandal ausgelöst. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen! Aber die Redaktion hat immer zu uns gehalten. Die haben das gut abgeblockt und argumentiert. Wir haben argumentiert und die haben sozusagen noch zusätzlich argumentiert. Und Wolf In der Maur, der damalige Fernsehintendant, war ja der eigentliche Initiator gewesen.
Schön ist ja auch, dass es in jeder Folge eine kleine Liebesgeschichte mit dem Kino gibt. Im Teil 1 die Aufführung vom „Wiener Blut“ und im Teil 2 die Schwärmerei für Brigitte Bardot.
Ja, klar! Ich bin damals mit einem Freund mit dem Motorrad nach Saint- Tropez gefahren. Wegen der Brigitte Bardot. Also das war schon etwas. In Saint-Tropez ist uns das Geld ausgegangen. Und in Ventimiglia beim Zurückfahren haben wir einen Sturz gehabt, beim Regen, kurz nach der Grenze. Ich sehe das noch, wie wir da im Dreck liegen. Kein Geld. Sturz. Keine Brigitte Bardot. (Lacht.)
Das Gespräch zwischen Rudi Palla & Helmut Köpping ist ein Originalbeitrag für die Programmhefte „Die Arbeitersaga Teil I (Folge 1 & 2)“ und „Die Arbeitersaga Teil II (Folge 3 & 4)“. Die Fragen stellten Kathrin Bieligk und Susanne Graf.