Genossen im Räderwerk

Zweiter Teil des Interviews mit Rudi Palla

Ich muss ja gestehen, ich hab alle Aufzeichnungen, alle Recherchen zur „Arbeitersaga“ weggeschmissen, schon vor einiger Zeit. Weil ich mir gedacht hab, „na gut, was soll ich das jetzt noch Jahre lang herumschleppen, wen interessiert das jetzt noch“.

Für die Produktionsteams, die sich hier im WERK X jeweils auf ihre eigene Weise den Teilen der Arbeitersaga annähern und eine theatrale Umsetzung versuchen, war es spannend, sich mit ganz unterschiedlichen Materialien von Vorlagen auseinandersetzen zu können: Einerseits den Verfilmungen, andererseits den Drehbüchern, die durch dich und Peter Turrini als Autoren ja eine echte literarische Qualität haben.

Ja, wir haben die damals im Europaverlag auch in Buchform veröffentlicht und uns dafür entschieden, die Ursprungsversionen zu drucken, ohne die Veränderungen zu berücksichtigen, die ein Drehprozess so mit sich bringt.

Und die sind in einer hohen Auflage erschienen und wurden offensichtlich viel gelesen – aber der Skandal um das sogenannte Rinterzelt, dessen Ursprungskonzept als Müllweiterverwertungsanlage total scheiterte, war damals ein heißes Thema. Absurd, dass das Gebäude ausgerechnet vor ein paar Monaten, kurz vor unserem Probenbeginn, gesprengt wurde. Wusstet ihr schon, als ihr die Anlage der Serie konzipiert habt, dass der dritte Teil davon handeln sollte?

Ja, das war uns klar, das hatten wir so geplant. Müllomania war ja eigentlich sogar als Abschluss der Serie geplant. Und wir sind dann praktisch in die Aufdeckung und Aufarbeitungsphase des Skandals hineingeraten. Und der war sowas von unglaublich – das hatte man ja kaum erfinden können! Wir haben damals durch reinen Zufall einen deutschen Techniker kennengelernt, der von der Gemeinde nachträglich eingesetzt wurde, um das aufzuklären, technisch aufzuklären. Der Investor, der der Gemeinde das Projekt untergejubelt hat, hatte doch tatsachlich versprochen, aus Müll Baufaserplatten herzustellen, die dann in die Schweiz verkauft werden sollten. Und man hat wahnsinnig viel Geld da hineingesteckt, in dieses Zelt, und in die Maschinen und alles. Dabei konnte es gar nicht funktionieren. Der Mann, den wir kennengelernt haben, der hat das minutiös ausgerechnet, die Menge an Spanplatten, die da hätte erzeugt werden sollen. Das wäre aber mit Metall und anderen Verunreinigungen versetzt gewesen, das Holz. Also unmöglich, man hatte das nicht sagen können. Na gut, und irgendwann ist das Ganze aufgeflogen. Und es wurde natürlich versucht, das zu vertuschen. Und dann hat man kurzer Hand halt eine Müllsortierung da drinnen gemacht. Statt maschineller Müllweiterverwertung Menschen, die am Förderband gestanden und aussortiert haben. Wirklich eine absurde Geschichte. Das war natürlich eine wunderbare Vorlage für unseren Plan, zu zeigen, wie der 1945, im ersten Teil geborene Genosse in das Räderwerk der Alltagspolitik gerat und seine Ideale verrät. An der Macht klebenbleiben, ohne inhaltlich noch für etwas zu stehen.

Und parallel zum Schreibprozess und zu den Dreharbeiten wurde der Skandal in den Medien weiter ‚aufrecherchiert‘?

Deshalb gab es auch die Auflage von der Rechtsabteilung, dass keine lebenden Personen vorkommen in der Müllomania. Also nicht namentlich. Aber in den verschiedenen Kammerln beim ORF ist doch Verschiedenes durchgedrungen, obwohl das Projekt da noch „Auf eigenen Beinen“ hieß. Und das war dann ein ewiger Kampf – in den Köpfen verschiedener Menschen war ja Vieles viel, viel arger, als wir das geschrieben haben. Das hat sich sehr schnell verselbstständigt, diese Geschichte. „Wir demolieren jetzt die Sozialdemokratie!“ – solche Vorwürfe schwebten in der Luft.

Das ist ja wie beim „Heldenplatz“, wo vorher auch keiner den Text gelesen hatte, aber alle sich reingesteigert haben. Wurde versucht, auf euch Einfluss zu nehmen, habt ihr Druck gespürt?

Die Redaktion und die Fernsehspielleitung, die haben immer zu uns gehalten und den Druck abgeblockt und uns arbeiten lassen.

Zurück zu eurem Grundimpetus, euch des ganzen Stoffs anzunehmen, war das auch aus dem Gefühl heraus, „Da lauft was falsch, oder da ist was falsch gelaufen in der Sozialdemokratie. Und wir schauen, wo das herkommt und wo da die Weichenstellungen waren“? Während der Proben haben wir viel im Ausstellungskatalog aus dem Jahr ‘88 über 100 Jahre Sozialdemokratie in Österreich recherchiert, und für die Ausstellung wurden damals einige Menschen aus dem Parteiumfeld gefragt, „Was ist denn eure Utopie von der Sozialdemokratie in dreißig Jahren?“ Was ungefähr jetzt wäre. Da gibt es einige kluge Analysen nachzulesen über die möglichen Herausforderungen der Zukunft – aber auch Wunschvorstellungen wie „Dann haben wir wieder die absolute Mehrheit“. Die heutige Krise haben die sich damals gar nicht vorstellen können.

Das konnte man sich auch schwer vorstellen. Ich weiß nur eines, dass seit vielen Jahren etwas falsch ist in ihrer Politik. Ja und diejenigen, die etwas ändern wollen, die werden hinausgeekelt. Ich kann gar nicht aufzählen, wie viele gute Leute mehr oder weniger von selbst gegangen sind oder hinausgeekelt wurden. Dass man das nicht erkannt hat, dass man diesen Wählerumbruch auch nicht erkannt hat. Also die Intellektuellen, die Künstler, die früher irgendwie immer zur Sozialdemokratie gehalten haben, die sind zu den Grünen gegangen. Und die Hackler sind zur FPÖ gegangen. Wahnsinn! Ich mein, das kann ja sein, dass es die in ein paar Jahren nicht mehr gibt. Wer soll das retten? Ich weiß es nicht.

Das Interview mit Rudi Palla ist ein Originalbeitrag für die Programmhefte „Die Arbeitersaga Teil I (Folge 1 & 2)“ und „Die Arbeitersaga Teil II (Folge 3 & 4)“. Die Fragen stellten Kathrin Bieligk, Susanne Graf und Helmut Köpping.